Stolpersteine für Widerstandskämpfer in Neukölln verlegt

09.07.2021 09:12 von Redaktion

Richardstrasse-Prozess: 1936 wurden 25 Widerstandskämpfer gegen die Nazis wegen Mordes am Gastwirt Böwe verurteilt.

Foto: Parmann

Stolpersteine erinnern am letzten frei gewählten Wohnort an Menschen, die während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden. Sie können ebenso an überlebende Verfolgte erinnern.

Am 22. Juni 2021 wurden in Neukölln vier weitere Stolpersteine ins Straßenpflaster von Neukölln eingelassen. Zwei Steine wurden in der Brusendorfer Straße 23 verlegt, ein Stein in der Donaustraße 114 und ein Stein am Kottbusser Damm 88-89. Die zwei Steine in der Brusendorfer Straße 23 erinnern an die Widerstandskämpferin Anna-Maria Grylewicz und den Widerstandskämpfer Anton Grylewicz. 

Anton Grylewicz wird am 8. Januar 1885 in Berlin geboren. Seit 1912 engagiert er sich in der Sozialdemokratie. Später ist er Mitglied verschiedener kommunistisch-trotzkistischer Organisationen. Zeitweise ist Grylewicz Stadtverordneter in Neukölln und Abgeordneter im Preußischen Landtag. 1912 heiratet er Anna-Maria, geb. Bräuer, geboren am 01. Januar 1891 in Berlin. Gemeinsam mit Anton lebt sie in Neukölln, wo sie Widerstand gegen das Naziregime leistet. Deswegen verwüstet die Sturmabteilung (SA) 1933 ihre Wohnung. Anton flüchtet in die Tschechoslowakei, während Anna-Marie kurzzeitig verhaftet wird. Sie folgt ihrem Mann kurze Zeit später nach Prag. Von dort flieht das Paar Ende 1937 nach Paris. 1939 werden beide aus Deutschland ausgebürgert. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges werden sie in Frankreich interniert. Zwei Jahre später jedoch gelingt ihnen die Flucht von Vichy nach Kuba, wo Anton Grylewicz als Tischler arbeitet. In den 1950er Jahren kehrt das Ehepaar in den Westteil Berlins zurück, dort stirbt Anna-Maria am 28. November 1970 und Anton zehn Monate später. Sie werden beide in Neukölln begraben.

Mit dem Stolperstein in der Donaustraße 114 wird an das Schicksal des ehemaligen Bewohners Walter Schulz gedacht. Geboren wird er am 19. Januar 1903 in Berlin. Nach Abschluss der Volksschule in Neukölln lernt Schulz Maschinenbauer. Später betätigt er sich als Obsthändler im Berliner Straßenhandel, ab 1931 ist er jedoch, wie viele andere auch, arbeitslos. Im Roten Frontkämpferbund (RFB) – dem paramilitärischen Wehrverband der KPD – wird Schulz Mitglied und beteiligt sich an der Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten in Berlin. Ab Juni 1931 agiert er als Untergauführer des RFB für Tempelhof, Treptow, Baumschulenweg, Ober- und Niederschöneweide. Am 22. Dezember 1931 wird Schulz aufgrund angeblicher Beteiligung an mehreren Raubüberfällen verhaftet und wegen „Anstiftung zum schweren Raub und Hehlerei" zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt. Im so genannten „Richardstraße-Prozess" wird er von den Nationalsozialisten wegen des Mordes an einem Mitglied der Sturmabteilung (SA) aus dem Jahr 1931 in der Richardstraße 35 angeklagt. Insgesamt fallen am 29. Februar 1936 fünf Todesurteile gegen kommunistische Widerstandskämpfer. Unter ihnen ist auch Walter Schulz. Er wird am 8. Juli 1937 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Im Rahmen der Richardstraßen-Prozesse (erster Prozess ab 1931, zweiter Prozess ab 1935) wurden 1936 insgesamt 25 Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus wegen Mordes am Gastwirt Böwe verurteilt. In der Gaststätte Richardsburg (sie war Teil einer Mietskaserne, die dort stand, wo heute der Comenius Garten ist) war es zu einer Auseinandersetzung von Gästen und KPD-Anhängern gekommen. Gastwirt Böwe, der die SA unterstütze und es als Sturmlokal führte, starb an einem Querschläger, mehrere Gäste der Gaststätte wurden schwer verletzt.

Der Stein am Kottbusser Damm 88-89 erinnert an das Leben der Jüdin Elise Poser. Sie wird 5. Juni 1881 in Breslau geboren und wohnt von 1934 bis zu ihrer Deportation am Kottbusser Damm.  Am 14. November 1941 wird Elise Poser mit 1000 weiteren Jüdinnen und Juden im Transport der „Welle V“ aus Berlin in das Ghetto Minsk deportiert, wo sie ermordet wird. Im Ghetto Minsk gab es mehrere Pogrome. Das erste Pogrom begann am 7. November 1941, um Platz für Juden aus dem Reichsgebiet zu schaffen. So wurden allein in der Nähe der Kaserne von Tutschinka nach SS und Polizeiangaben 6.624 Juden aus dem Ghetto getötet. Am 20. November 1941 wurden im zweiten Pogrom wahrscheinlich 5.000 bis 7.000 Menschen unter der Federführung des Sonderkommandos 1b durch so genannte fremdvölkische Schutzmannschaften des SS- und Polizeiführers Carl Zenner zusammengetrieben und ebenfalls bei Tutschinka erschossen. Dann gab es mehrere Monate mehr keine großangelegten Pogrome. Die Gründe: Es bestand einerseits Bedarf an ausgebildeten Arbeitskräften, zum anderen verhinderte der strenge winterliche Frost das Ausheben von Massengräbern. Am 21. Juni 1943 befahl Heinrich Himmler das Ghetto Minsk aufzulösen. Am 14. September wurde ein Transport mit 300 jungen Männern aus dem Reich sowie 480 Insassen aus Maly Trostenez nach Majdanek zusammengestellt. Wohl am gleichen Tag wurden rund 2.000 Menschen in Blagovschtschina erschossen. Die letzten noch lebenden Juden wurden im Sonderghetto nahe dem jüdischen Friedhof zusammengedrängt. Die verbliebenen Insassen, etwa 1.000 Menschen, wurden in Blagowschtschina getötet. S.P.

Stolpersteine kann jeder stiften. 120 Euro ermöglichen die Herstellung und Verlegung eines Stolpersteines. Für den Bezirk Neukölln koordiniert das Museum Neukölln die Stolpersteinverlegungen. Kontakt: stolpersteine@museum-neukoelln.de, Tel. 627 277 -720/-723. Weitere Informationen unter www.stolpersteine-berlin.de.



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