All LADIES

10.04.2014 17:06 von Stephanus Parmann

BIs 20. April stehen Im Museum Neukölln auf dem Gutshof Britz Kühe im Mittelpunkt

Ursula Böhmer, Highland-Crossbreed" Schottland

Wir schlagen eine Zeitschrift auf und stoßen auf Kühe. Pardon, wir sehen Milch, Schuhe (aus Rinds- und Kalbsleder), Yoghurt oder Corned Beef. Und auch die Milch heißt nicht Kuhmilch, sondern Friesenmilch, Sachsenmilch, Müller-Milch oder Gen-Milch. Längst sehen wir nicht mehr die Kuh, sondern das, was aus ihr gemacht wird, was von ihr verwertet wird. Die Turbomilchkuh steht nicht auf der Weide, sondern tut Dauerdienst bis zum Umfallen in  computergesteuerten Hochleistungs-Milcherzeugungsbetrieben. Hier wird sie neuerdings auch mit Medikamenten,  vertrieben von Veterinärmedizinern, auf Rekordleistungen gedrillt – von Natur aus gab die Kuh acht Liter Milch pro Tag, heute sind es 50 Liter pro Tag und 12.000 Liter im Jahr. Ein zweistelliges Milliardengeschäft. Für ein Leben auf der Weide ist die Turbo-Kuh allerdings nicht geeignet. Und wenn wir doch eine Kuh auf der Weide sehen, müssen wir unseren Kindern erklären, dass Kühe eben nicht lila sind. Warum erzählen wir Ihnen das? Ganz einfach: Wegen der Fotoausstellung der Berliner Fotografin Ursula Böhmer mit dem Titel „All Ladies“. Sie ist noch bis 20. April 2014 im Museum Neukölln zu sehen.

Nun, allein der Titel der Ausstellung deutet es an. Ursula Böhmer hat keine Turbokühe abgelichtet, die unter permanentem Produktionsstress stehen. Nein. Böhmer zeigt den Gegenentwurf. Sie zeigt privilegierte Rinder, Ladies, die ihre Lebenszeit auf den Weiden Europas verbringen können. Dafür ist die Fotografin viel und lange gereist. Zwischen 1998 und 2011 hat sie insgesamt 25 europäische Länder besucht und dort heimische Kühe fotografiert. Wundervolle Tiere, die im Verschwinden begriffen sind, weil sie sich nicht für die Massentierhaltung mit ihren Hochleistungsnormen eignen. Wir sehen unter anderem ein Schottisches Hochlandrind, Herford-Rinder aus Irland, ein Barrosã, das in Portugal beheimatet ist, ein starkes Avilena-Rind aus Kastilien in Spanien oder ein Ceska Cervinka aus der Tschechischen Republik. Alles in Nahaufnahmen. Dabei schaut der Betrachter den Tieren unwillkürlich in die Augen. Denn auf Augenhöhe und in nur wenigen Metern Abstand sind die Tiere einzeln oder als Paare in schwarz-weiß in ihrer heimischen Landschaft fotografiert worden. Das schärft den Blick des Betrachters zur Wahrnehmung der individuellen Gestalt der „Ladies“, da farbliche Details im Bild nicht ablenken. Der Auslöser wurde in dem Moment gedrückt, wo die Tiere auf die Fotografin zukamen, weil sie neugierig sind. Jeder, der mit Kühen aufgewachsen ist, kennt diesen wundervollen Moment der Begegnung und des friedvollen Austauschs, da bleibt nur wenig Zeit für eine gute Fotografie.

Was aber heißt es, Kühe als Individuen ins Bild zu rücken, in der wundervollen Vielfalt ihrer Erscheinung? Wer Tiere als Individuen oder Natur als Subjekt begreift, geht anders um mit tierischen Produkten und wünscht sich insgeheim nur eines: Dass das Leid der Tiere auf ein Minimum begrenzt werden möge. So erreicht die Fotografin ein Nachdenken über uns und unser Verhältnis zu den Nutztieren, die längst nur noch Teile einer Maschinerie geworden sind. Und Böhmer gelingt dies lediglich durch das Aufzeigen der Schönheit der Tiere und ohne den Zeigefinger zu erheben. Für uns strahlen die aufs Wesentliche reduzierten Fotografien gespannte Ruhe und die Sanftheit aus, die diese wundervollen Wesen in sich tragen. Ein wenig Glück im ganzen Unglück der Tierhaltung wird hier sichtbar, gerade wo die Masse der Rinder bereits in der Hölle angekommen ist. Ist es angesichts dessen gerade nicht sinnvoll, den Gegensatz zu denken und an ihm zu arbeiten? Hoffung auf das Ende der Hölle der Rinder gibt es, weil es Menschen gibt, die den paradiesischen Traum vom Frieden zwischen Mensch und Tier noch nicht aufgegeben haben. Der Fleischkonsum ist deutlich zurückgegangen. Und vor kurzem ist es Wissenschaftlern per Bio-Printer erstmals gelungen, Rindfleisch künstlich im Labor zu züchten. Bis es jedoch gelingt, es in Massen so zu produzieren, dass es für uns gesund und bezahlbar ist, bleibt uns noch der Weg, dass wir die Vielfalt des Lebens erhalten und das Leid der „Ladies“ auf ein Minimum reduzieren.

Stephanus Parmann

Die Ausstellung „ALL LADIES. KÜHE IN EUROPA“, Fotografien von Ursula Böhmer ist noch bis zum 20. April im Museum Neukölln, Alt-Britz 81, 12040 Berlin zu sehen.

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei. Verkehrsverbindungen: Busse: M44, M46 bis Fulhamer Allee, U-Bahn: Linie 7 bis Bahnhof Parchimer Allee. Das Museum hat einen behindertengerechten Zugang und ist barrierefrei. Vom Ausstellungsraum im Erdgeschoss zum Geschichtsspeicher im ersten Stock gibt es einen Aufzug.


 

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