01.06.2021 10:07 von Stephanus Parmann
Die Rudower Kirchenglocke zieht diese Woche um ins Museum Neukölln. Seit 85 Jahren rief in der Philipp-Melanchthon-Kapelle im Orchideenweg in Berlin-Rudow eine Glocke mit nationalsozialistischen Symbolen, Reichsadler und Hakenkreuz, zum Gottesdienst. 1935 wurde sie gemeinsam mit der Kapelle eingeweiht. Doch wie konnte es zur Verstrickung mit der Nazi-Ideologie kommen? Die Geschichte der Gemeinde in der Nazizeit hatte bereits Friedhelm Gutknecht in seiner Schrift „Spurensuche“ Kapelle in Rudow, Mitten im Blumenviertel“ skizziert. Die Geschichte der Glocke in der Nazizeit wurde nun auch noch erforscht. Dass Rudow nicht gerade ein Ort des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus war, ist bekannt und wurde auch in der Chronik Kirche in Rudow, Mitten im Leben" von Silvia Dieckmann beschrieben, herausgegeben von der Evangelischen Kirchengemeinde Rudow. Zur 625 Jahrfeier im Jahr 1998 gab ferner der Rudower Panoramaverlag "Einblick in die nationalsozialistische Zeit“. In der Kirchenchronik warf Silvia Diekmann einen Blick auf die Evangelische Kirchengemeinde in Rudow während der Nazizeit.
1928 kam Pfarrer Zorn nach Rudow, ein Pfarrer, der in Zeiten sozialer Anspannung ausgleichend und vermittelnd wirken wollte bei „Konflikten zwischen den alteingesessenen, wohlhabenden Rudowern und den armen, oft unter dem Existenzminimum lebenden Neubürgern in den Siedlungen“. Das Alltagsleben von breiten Bevölkerungsschichten war schließlich infolge der Weltwirtschaftskrise von 1929 von großer Not und sozialem Elend geprägt. Ein Schwerpunkt der Arbeit des neuen Pfarrers war neben der Seelsorge die soziale Betreuung - Notleidende Siedlerfamilien wurden durch die Frauenhilfe der Gemeinde mit Essen versorgt, auch gab es eine Nähstube, Kleider und Nahrungsmittelsammlungen. Dem Gemeindekirchenrat jedoch war die Nähe des Pfarrers zu den eher den Arbeiterparteien SPD und KPD zugewandten Siedlern ein Dorn im Auge. Als 1932 Pfarrer Zorn mit einer gerechten Kirchensteuer den Bauern mehr Geld abverlangte, kam es zu einer unheilvollen Allianz zwischen Konservativen und Nazis (Deutsche Christen) im Gemeindekirchenrat, die den Pfarrer Zorn stürzte. Fortan hatten die 18 Deutschen Christen im Gemeindekirchenrat, die den Nationalsozialismus unterstützten, in Rudows Kirche das Sagen. Zorn musste gehen, der neue Pfarrer Karl Gerhard Klinge trat im Januar 1934 seinen Dienst an und stand den Nazis wohlwollend gegenüber. Im Februrar 1934 schrieb er an den Bischof Emil Albert Oswald Karow: „Ich habe hier einen Gemeindekirchenrat, auf den ich mich verlassen kann“.
Klinge setzte sich für eine Gleichschaltung der Evangelischen Kirche ein und empörte sich, als neben der Hakenkreuzflagge an der neuen Philipp-Melanchton-Kapelle auch die Kirchenfahne gehisst wurde. Er nannte es „Hochverrat“ und durfte sich auf die Nationalsynode der neu gegründeten Deutschen Evangelischen Kirche von 1934 berufen, derzufolge die Kirchenfahne zugunsten des neuen Staatssymbols, Hakenkreuzfahne, als „abgeschafft“ galt. Nur an kirchlichen Feiertagen und zu kirchlichen Anlässen durfte die Kirchenfahne zunächst weiter aufgezogen werden. Unter Pfarrer Klinge wurde denn auch die Philipp-Melanchton- Kapelle am 27. Oktober 1935 mit zwei Glocken, gestimmt auf „c„ und „es“, eingeweiht. Ursprünglich trug die größere Glocke den Namen „Philipp- Melanchthon und das Wort aus seiner Feder „Glauben ist nichts anderes als Vertauen auf Gottes Barmherzigkeit“. Die kleinere Glocke stiftete der Rudower Bauunternehmer Werner. Auf ihr stand „Als 2. Gemeindeheim 1935 durch den Gemeinschaftswille des evangelischen Berlins errichtet“, heißt es in der Schrift von Gutknecht. Wie nun aber die Glocke mit den nationalsozialistischen Symbolen Reichsadler und Hakenkreuz in die Kapelle kam, um zum Gottesdienst zu läuten, klärte nun das Museum Neukölln mit einer Broschüre zur Geschichte der Glocke auf.
Eine Veranstaltung im Museum Neukölln informiert weiter über die Geschichte der Gemeinde in der Nazizeit und über die Geschichte der Glocke. Die Abnahme und der Umzug der Glocke ins Museum dokumentiert ein Film, der im Rahmen der Veranstaltung gezeigt wird.
Teilnehmende der Veranstaltung, die am Freitag, dem 04. Juni um 19.00 Uhr per Livestream auf You tube zu sehen ist, sind Museumsleiter Dr. Udo Gößwald, Bischof Dr. Christian Stäblein (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz)
, Dr. Beate Rossié (Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart), Pfarrerin Nora Rämer (Evangelische Dreieinigkeitskirchengemeinde), Pfarrerin Marion Gardei (Beauftragte für Erinnerungskultur und gegen Antisemitismus, EKBO).
Freitag, 04.06.2021, 19.00 Uhr Livestream: https://youtu.be/R5W9d7fIMR0
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