90 Jahre Waldrandsiedlung

11.08.2024 08:34 von Redaktion

Foto: SPhoto

In diesem Sommer hat die „Siedlergemeinschaft „Am Waldrand“ das 90jährige Bestehen der Siedlung und des Siedlervereins gefeiert. Mit Speis und Trank, Tanzeinlagen einer Kindertanzgruppe, unterhaltsamen Aktivangeboten für Kinder, DJ Musik und guter Laune bei herrlichem Sommerwetter, ließen es sich die Besucher zum runden Jubiläum einfach nur gutgehen. Als Ehrengast begrüßen konnte die 1. Vorsitzende des Siedlervereins, Sabine Knoerr, Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel. In seiner Ansprache zum Jubiläum würdigte Hikel die Kultur der Siedler, die mit ihrer Arbeit in Rudow einen Kontrapunkt setzen zu den Negativschlagzeilen zu Neukölln. Hikel würdigte, dass die Siedler Feste und gesellige Veranstaltungen durchführen und teilte persönliche Erinnerungen. So könne er sich noch gut erinnern, dass er als Jugendlicher im Vereinshaus der Waldrandsiedlung einige Geburtstage habe feiern können. Für all das dankte er der Siedlergemeinschaft. Als Geschenk zum Jubiläum brachte er einen Holzkiste, gefüllt mit Neuköllner Leckereien, mit: Currywurst im Glas von Curry Paule, Britzer Wein vom Koppelweg, Blutwurst im Glas vom Rixdorfer „Blutwurstritter“, Kaffee, und Marzipan von Ohde, um nur einige Produkte Made in Neukölln zu nennen. Ohde, so Hikel, helfe mit der Ohde Stiftung unter anderem bildungsbenachteiligten Kindern in Neukölln. Außerdem sei Neukölln einer der größten Kaffeeproduzenten Deutschlands mit vielen Röstereien und einer der größten Marzipanproduktionsstätten für Rohmarzipan auf der Welt. 

Die Geschichte von Siedlungen, wie auch der Waldrandsiedlung, ist deutsche Sozialgeschichte. Um die Wohnungsnot nach dem ersten Weltkrieg zu lindern, hatte der Deutsche Reichstag unter anderem die Verordnung über das Erbbaurecht (1919), das Reichssiedlungsgesetz (1919) und das Reichsheimstättengesetz (1920) erlassen. Mit der Dritten Notverordnung reagiert man 1931 auf die Notlagen nach der Weltwirtschaftskrise und schafft die Grundlage für vorstädtische Kleinsiedlungen. Sinn und Zweck der Siedlungspolitik in der Weimarer Republik ist es, Großfamilien mit niedrigem Einkommen sowie sozial schwach gestellten Bürgern aus der Innenstadt zu einem Eigenheim mit Garten am Stadtrand von Berlin zu verhelfen. Voraussetzung zum Erwerb einer solchen Siedlungsstelle sind handwerkliche Fähigkeiten. Ferner die Bereitschaft, beim Bau der Siedlungsstellen die geforderten Fertigkeiten auch mit Tatkraft einzusetzen. Und die ist mehr als notwendig. Denn maschinelle Hilfsmittel haben die Siedler nicht. Sie müssen die Fundamente mit Spaten, Picke und Schaufel ausgraben und die Baumaterialien mit der Schubkarre herankarren. Auch Mörtel und Beton werden von Hand angerührt und gemischt. Das dafür benötigte Wasser fördern die Siedler durch zwei Handpumpen. Erst später werden Pumpstationen am Zwerghuhnweg geschaffen. Sehr fortschrittlich ist, dass die Waldrandsiedlung mit Gas, Wasser und Strom versorgt ist, alles andere als üblich zu dieser Zeit. 

Der II. Weltkrieg hat auch in der Rudower Waldrandsiedlung seine Spuren hinterlassen. Ende der 30er Jahre wird auf dem Gemeinschaftsgelände ein Luftschutzbunker errichtet, während der Bombenangriffe 1943 - 1945 bietet er den Siedlern Zuflucht und rettet Leben. Schließlich werden mit dem Krieg sechs Siedlungshäuser völlig zerstört und fünfzig Prozent zum Teil schwer beschädigt. Solidarität unter den Siedlern ist das Bindemittel, mit dem die Häuser wieder aufgebaut und die Schäden an Häusern in Eigenleistung beseitigt werden. Selbst helfen sich die Siedler auch bei der Planung und dem Bau ihres Gemeinschaftshauses am Welsumerpfad, das 1958 eröffnet wurde. Seitdem werden hier Sommerfeste gefeiert, in den 50ern noch mit Festumzügen mit geschmückten Wagen, Fahrrädern und Spielmannszug. Weiterer Höhepunkt dieser Feste sind das so genannte „Adlerschießen“ mit der Armbrust, der von der Siedlerjugend einstudierte Fahrradreigen und ein Fackelzug. Auch Pfingstfrühkonzerte, Weihnachtsfeiern und Tischtennisturniere wurden hier veranstaltet. 

In den 60er Jahren werden die Straßenbeleuchtung installiert und die ehemaligen, im Sommer oft staubigen, im Winter schlammigen Schotterwege mit Asphalt gedeckt. Finanziert haben die Siedler dies durch Zahlungen aus dem Gemeinschaftsfonds und durch interne Sammlungen. Mit dem Mauerbau 1961 fristen die Siedler im wahrsten Sinne des Wortes ein „Mauerblümchendasein". Es wurde beendet durch den Bau der Gropiusstadt, weil durch sie viele Spaziergänger und Radfahrer die Siedlung Naherholungsgebiet entdeckten. 1988 beteiligte sich die Siedlung „Am Waldrand" am Neuköllner Kleinsiedlungswettbewerb und errang den 1. Platz. In den darauf folgenden Jahren gewann die Siedlung den 2. Platz und danach wiederum zweimal Platz 1. Dadurch ermutigt, stellte sie sich 1993 dem Bundeswettbewerb und erreichte Platz 3., 1997 sogar Platz 2. 

 

In den Jahren 1989 bis 1991 steht die Verlängerung der auslaufenden Reichserbbauheimstätten-Verträge zur Diskussion. Nach langen und zähen Verhandlungen mit dem Senat von Berlin und mit Unterstützung des Deutschen Siedlerbundes, erreichen es die Siedler, dass ihre Häuser für die kommenden 75 Jahre erhalten bleiben. Im April 1993 kann mit dem Bau einer Entwässerungsleitung das bislang größte Vorhaben in der Siedlung begonnen werden, veranschlagte Kosten: 850.000 DM. Die endgültigen Kosten lagen durch Eigenleistungen wie Planung, Projektierung, durch Verhandlungen mit Behörden und Firmen jedoch weit drunter. Durch diesen Bau leistet die Siedlung „Am Waldrand" einen vorbildlichen Beitrag zum umweltgerechten Wohnen in Rudow. 


In den Jahren 2005 bis 2007 begannen die Planungen für den Bau neuer Siedlungsstraßen. Die 46 Jahre alten Straßen waren in einem sehr schlechten Zustand. Auch die Wasser- und Gasleitungen werden 2007 rechtzeitig verlegt, ohne Zusatzkosten für die Siedler. 2008 folgt der Straßenbau mit Verbundsteinpflaster. 1500 € müssen die Siedler in kurzer Zeit auf ein Sonderkonto einzahlen, manch einer muss einen Kredit aufnehmen. Auch für die Kinder der Siedlung, die sich beim Jubiläumsfest zum 90jährigen Bestehen auf der großen Wiese auf dem Vereinsgelände austoben, wurde viel getan. Sie haben einen Fußballplatz, eine wetterfeste Tischtennisplatte und eine Torwand. Die Kinder der Waldrandsiedlung sind aber auch selbst aktiv: Sie pflanzten zweihundert verschiedene junge Bäume am ehemaligen Grenzstreifen, damit die Siedlung „Am Waldrand" ihrem Namen wieder gerecht wird. 



 

 

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