13.03.2022 20:40 von Redaktion
Nach soviel ernster Literatur zum Beginn des Lesefestivals am Freitag startet der Samstag zur Frühshoppenzeit um 11.00 mit heiterer literarischer Feinkost. Die Berlinerin Susanne M. Riedel, in Lichterfelde geboren, liest auf dem Rudower Wochenmarkt aus „Ich hab mit Ingwertee gegoogelt. Mein Leben in Autokorrektur“. Wie schnell doch die Zeit vergeht, stellt sie eines Tages fest. Eben war man noch 30 und plötzlich wacht man auf und ist 50 – und alles hat sich geändert und wird immer komplizierter. So die Technik. Beispiel Smartphone: „ Will ich „Spandau“ eingeben , schreibt es „Spanien“. Bei „Kreuzberg“ „Kreuzigung“. Und schreib ich „Frohnau“, korrigiert es auf – kein Scherz - „Frohnatur“. Was beweist: Mein Smartphone hat von Berlin keine Ahnung. Oder ist CDU-Wähler“. Aber auch sonst ändert sich mit dem Älterwerden viel im Leben: Party heißt jetzt Brunch, aus Fun wird Funktionskleidung und aus der Schwiegermutter eine zickende Zeitbombe. Bei all dem, was Susanne Riedel so schlucken muss, sucht sie schließlich mehr Glitzer im Tag und findet Antworten auf wichtige Fragen wie: Kann man sich ein Sixpack auch stricken? Und was will der verdammte Teebeutel mir sagen? Mal wird ein Perlhuhn getöpfert (aus Rache), ein Kater kuriert (aus Gründen) oder ein Hefeteig besungen (»Geh doch, ich sage dir, geh doch!«). Susanne Riedels Geschichten erzählen vom großen Kino der kleinen Momente, wofür sie viel Lob von schreibenden Kollegen wie Horst Evers, Sarah Bosetti und von Elke Heidenreich bekam. Wer also nach langer Coronazeit und trübem Wetter die Lust aufs Schmunzeln und Lachen noch nicht verloren hat, kommt auf den Rudower Wochenmarkt und gönnt sich vor oder nach der Lesung noch weitere Leckerbissen, um sich den Tag zu versüßen.
Wen nun das vage Gefühl beschleicht, Rudow liest 2022 wäre Frauen dominiert, hat Recht. Aber zur Beruhigung, es kommen noch Quotenmänner zum Zug. Aber erst mal liest Spiegel-Bestsellerautorin Anne Stern um 14.00 Uhr in der Alten Dorfschule aus ihrem fiktiven Roman „Meine Freundin Lotte“, der vergangenen August bei Kindler herauskam. Und nun? Ja, es geht um Frauen, und zwar um die in der Weimarer Republik erfolgreiche Malerin Lotte Laserstein und ihre innige Freundin, die Fotografin Traute Rose. Während über Lotte Laserstein durch den 2009 von der Berlinischen Galerie erworbenen dokumentarischen Nachlass, über Skizzenbücher sowie private und berufliche Korrespondenz viel bekannt ist, sind der Öffentlichkeit Informationen zu Traute Rose nicht zugänglich. Doch Anne Stern verleiht in ihrem Roman beiden Frauen eine Stimme, wodurch die Leser eine Geschichte von zwei Stimmen hören, die abwechselnd erzählen. Der Roman beginnt in Berlin im Jahr 1921: Lotte Laserstein will Malerin werden. Aber die Tore der Kunstakademie haben sich für Frauen gerade erst geöffnet. Und Lotte muss kämpfen – gegen die Ressentiments männlicher Lehrer und Kritiker und für ihre Leidenschaft, die Malerei. In der jungen Fotografin Traute, die ihr Modell steht, findet sie eine Seelenverwandte, denn Traute ist mit ihrem Typus der Neuen Frau und ihrer Begeisterung für die Kunst das perfekte Modell für Lotte. So entsteht eine ganz besondere Beziehung.
Auch der nächste druckfrische Roman, diesmal aus der Feder eines Mannes, dreht sich um eine wahre Geschichte. Tobias Friedrichs Abenteuerroman „Der Flussregenpfeifer“, aus dem er um 15.00 Uhr Passagen im TUI Reisebüro in Alt-Rudow 25 vortragen wird handelt von Oskar Speck, der 1932 sein Faltboot zu Wasser ließ, um damit nach Zypern zu paddeln. Laut seinem Plan wollte er sechs Monate später wieder zurück sein. Aber wie so oft im Leben, kommt alles anders. Gepackt von sportlichem Ehrgeiz, begleitet von Jazzmusik und Mark Twains weisem Witz, gejagt von den Nationalsozialisten, die aus dem Faltbootfahrer einen deutschen und vor allem arischen Helden machen wollen, fährt der schweigsame Einzelgänger von Zypern aus immer weiter in die Welt bis nach Australien und legt so in sieben Jahren 50.000 Kilometer zurück. Nun, auch Autor Friedrich ist ein Abenteuer eingegangen. Als er mit bekam, dass es noch kein Buch über Oskar Speck gab, war ihm klar, sagt er, „dass ich, der ich noch nie einen Roman geschrieben hatte, mit dem Schreiben eines Romans über ihn restlos überfordert sein würde. Also fing ich unverzüglich mit der Arbeit an.“ Klingt logisch. Da das Buch erst am 14. März bei C. Bertelsmann erscheint, wissen wir noch nicht, wie die Kritiker das Abenteuer Schreiben über den Abenteurer wertet. Da die Geschichte selbst so verrückt, der Autor des Schreibens von Sachbüchern kundig ist und Bertelsmann das Buch publiziert hat, werden die Besucher sicher eine spannende Lesung erleben, prognostizieren wir.
Die erste Sachbuchlesung im Rahmen von Rudow liest bestreitet die in der Gropiusstadt aufgewachsene Radio 1-Moderatorin Sonja Koppitz. Sie liest um 16.30 Uhr in der Alte Kloster-Apotheke in Alt-Rudow 70 aus „Spinnst du? Warum psychische Erkrankungen ganz normal sind“, Ende 2021 erschienen bei Rowohlt. Hintergrund: Fast 18 Mio. Menschen leiden innerhalb eines Jahres in Deutschland an einer seelischen Erkrankung. Doch wer sich mit seinem Leid guten Rat in Büchern holen will, stößt schnell an Grenzen. Fachliteratur zu studieren, hilft den Betroffenen oft wenig, sie schafft es einfach nicht, dass sie sich angesprochen fühlen. Sonja Koppitz wählt einen anderen und neuen Zugang. Sie, die selbst an der Volkskrankheit Depression leidet, verbindet fachliches Wissen mit ihrem persönlichem Erfahrungsschatz. In ihrem Buch spricht sie mit Betroffenen, schildert alle Facetten psychischer Erkrankungen und stellt sich Fragen wie dem Umgang der Gesellschaft mit seelischen Erkrankungen. Und sie fragt vor allem auch, wie Betroffenen geholfen werden kann. Ferner wirft sie einen Blick hinter die Kulissen des Universums Psychiatrie, wo Tragik und Komik oft sehr nah beieinanderliegen. Ein wichtiges Buch, wie wir meinen.
Seit Beginn der Neunzigerjahre veröffentlicht Judith Kuckart Romane und Erzählungen und erhielt bislang viele Preise und Stipendien. Am Samstag, dem 02. April liest sie um 17.30 Uhr bei GanzOhr in der Krokusstraße 95 aus ihrem neuen Roman „Café der Unsichtbaren“, erschienen beim DuMont Verlag. Die Geschichte dreht sich um Rieke, Wanda, Matthias, Emilia, Marianne und Lorentz. Sie bilden zusammen mit der 80jährigen Ich-Erzählerin von Schrey eine Sorgentelefon-Gruppe. Alle sieben – so unterschiedlich ihre Leben verliefen – erfahren, dass zuzuhören den Anrufenden in einer schlaflosen Nacht das Gefühl von Ausweglosigkeit nehmen kann – und mit dem Zuhören auch eigene Lebenserfahrungen einen unerwarteten Sinn bekommen. Ein unsichtbares Netz zwischen Rand und Mitte der Gesellschaft entsteht, das Lebensgeschichten aus dem Dunkel des Unerzählten fischt.
Die letzte Lesung am Samstag bestreitet Julia Franck. In der Dorfkirche in Rudow präsentiert sie am 02. April um 20.00 Uhr ihren neuen und bereits vielfach gewürdigten Roman „Welten auseinander“, in dem sie viel von sich preis gibt. Denn die Julia im Roman ist Julia Franck, es ist ihre Geschichte. Julia wird in Ostberlin geboren. Sie ist acht, als ihre Mutter sie und die Schwestern in den Westen, erst ins Notaufnahmelager Marienfelde und dann nach Schleswig-Holstein mitnimmt. In dem chaotischen Bauernhaus kann die Dreizehnjährige nicht länger bleiben und zieht aus, nach Westberlin. Neben der Sozialhilfe verdient die Schülerin Geld mit Putzen, sie lernt ihren Vater kennen und verliert ihn unmittelbar, macht ihr Abitur und begegnet Stephan, ihrer großen Liebe. „Welten auseinander“ trägt ist Julia Francks bewegende Erzählung einer ungewöhnlichen Jugend voller Brüche und Unsicherheiten; ein schmerzhaft-schönes Buch der Selbstbehauptung, das von Scham und Trauer genau erzählt wie von Tod und Liebe. Julia Franck ist für ihre Romane vielfach ausgezeichnet worden, unter anderem für ihren Roman „Die Mittagsfrau“ er wurde mit dem Deutschen Buchpreis (2007) gewürdigt, das Buch wurde in 35 Sprachen übersetzt. Außerdem erhielt sie 2004 den Marie Luise Kaschnitz-Preis.
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