Rudow Liest am Samstag

02.03.2019 (21:25)

Rudow Liest am Samstag

Vergnüglich geht es am Samstag mit der ersten Lesung des Tages um 12.00 Uhr auf dem Rudower Wochenmarkt in der Prierosser Straße weiter. Hier liest der Berliner Satiriker Thilo Block aus seinem Erzählband „Der Berliner ist dem Pfannkuchen sein Tod“.  Bei Pfannkuchen der Marktbäcker und einer herrlichen Tasse Kaffee, kann man den  Samstag  also genießen mit lehrreichen Abhandlungen über Hitlers Hodenwärmer,  über Stammgermanen im Berliner Umland und erfährt ganz nebenbei, wie der  Berliner Pfannkuchen in die Welt kam und was John F. Kennedy damit zu tun hatte.  Auch wenn Thilo Block fordert, dass Mücken, Fett und Staub ebenso abgeschafft werden sollten wie die  Forderung, dass man sich öfter mal bei Arschlöchern entschuldigen sollte, müssen die Besucher der Freiluftlesung nicht gleich eine Petition unterschreiben, um sich als fortschrittlich zu outen. Nur auf die Prierosser Straße gehen müssen sie schon. Nicht aber um zu demonstrieren, sondern um des Weiteren zu erfahren, wie Realitätsveschleierung funktioniert, was ja durchaus praktisch ist. Wie so Vieles, was der Rudower Wochenmarkt ansonsten zu bieten hat. Während Herr Block analog zum Brexit den Berxit empfiehlt, also wie er sagt „den Ausstieg aus einem Staat, in dessen meisten Regionen man die Berliner nicht versteht“, empfehlen wir Ihnen, sich unbedingt diesen „Block-Buster“ von Rudow Liest reinzuziehen.  Herr Block bringt sicher genügend Zeit mit, dass sie beim Pfannkuchen essen über die die Vor- und Nachteile des Berxit und den herrlichen Geschmack des Berliner Pfannkuchens philosophieren können – beißen Sie zu.

 

Weniger verdaulich als ein Pfannkuchen, und da ist sich die Wissenschaft mal einig, ist auf jeden Fall Unkraut, und „Unkraut. Tatort Neukölln“ heißt der Titel des im Rowohlt Verlag erschienen Neukölln-Krimis von Sebastian Kretz, in dem Kommissar Harm Harmsen zusammen  mit seiner Kollegin Peggy Storch einen schwierigen Mordfall in einer idyllischen Laubenpiepersiedlung südlich des S-Bahnrings zu lösen hat. Storch und Harmsen könnten als Ermittler unterschiedlicher nicht sein. Während der in Neukölln gestrandete Ostfriese Harmsen keinen Hehl daraus macht, dass er eine Abscheu vor Computern und anderem „neumodischen Quatsch“ hat und darüber hinaus die für einen Ostfriesen nicht ganz untypische Sturheit besitzt, schwört die rund 20 Jahre jüngere digitale Forensikerin Peggy, die gar nicht gerne im Team arbeitet, auf modernste kriminalwissenschaftliche Analysen. Die zwei Ermittler sollen sich offensichtlich in den Ermittlungen gegenseitig kontrollieren. Denn leicht ist die Motivlage nicht. War  der Mord politische Gewalttat,  ein Beziehungsdelikt oder geschah er aus schlichter Habgier? Wissenschaftliche Methoden könnten dem oder der Täterin auf die Spur kommen, und danach sieht es zunächst aus. Denn Storchs DNA-Analyse belastet die Freundin des Opfers schwer, die bei der ersten Kontaktaufnahme durchaus ehrlich erschüttert wirkt. Allerdings führen die hypermodernen Recherchemethoden in eine Sackgasse. Und aus der finden sie und ihr Kollege Harmsen nur zusammen heraus, auch wenn man sich gegenseitig herzlich verachtet. Garnicht verachten tun sich die Hörgeräteakustiker Flemming & Klingbeil und der Verein Alte Dorfschule. Sie freuen sich auf reichlich Besucher zu der von ihnen in der Dorfschule in Alt-Rudow 60 um 13.30 Uhr präsentierten Lesung. 

 

Nach soviel Spannung wird der eine oder andere wohl den Weg in die Apotheke suchen, um sich mit bewährten Hausmitteln zur Beruhigung einzudecken. Das kann er tun. Denn die Kloster-Apotheke um die Ecke in Alt-Rudow 70 lädt um 14.30 Uhr ein zur Lesung „Schund und Sühne“ mit der Autorin Anna Basener. Die mit dem Buch „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ zur Bestsellerautorin avancierte Autorin bietet hier zugleich Humorvolles und Gesellschaftskritisches in einem, und das auf kurzweilige Art. Die Hauptrollen spielen dabei ein schwuler Prinz, der für Nachkommen sorgen muss, eine depressive Fürstin, die nicht an Depressionen glaubt und ein Rosenkavalier, der die Welt retten will. Hinzu gesellen sich eine Prinzessin mit gebrochenem Herzen und Jagdgewehr und eine junge Groschenromanautorin, die eigentlich aufhören will mit Schund und Kitsch, aber ausgerechnet dafür das Literaturstipendium auf Schloss Rosenbrunn bekommt. Was sie dort mit dem Prinzen, der Fürstin und dem Rosenkavalier erlebt, ist für den Besucher der Lesung heilsam, getreu dem Motto: Lachen ist die beste Medizin! So gestärkt kann der Besucher wieder an den Tatort, pardon, vorigen Lesort zurückkehren und in der Alten Dorfschule Rudow unter die Haut gehende Literatur genießen. Hier erwartet ihn um 15.30 Uhr eine Geschichte voller Erfahrungen von Verlust und Entwurzelung. Geschrieben hat sie Peggy Mädler,  gesponsert wird die Lesung vom Verein Alte Dorfschule.  Mit  „Wohin wir gehen“ erzählt Peggy Mädler die Geschichte von Almut und Rosa, die im Böhmen der 1940er Jahre leben. Als Almuts Vater überraschend stirbt und ihre Mutter Selbstmord begeht, nimmt Rosas Mutter beide Mädchen mit nach Brandenburg. Wie alle Deutschen müssen sie nach dem  2. Weltkrieg die Tschechoslowakei verlassen. Sie ergreifen den Lehrerberuf und ziehen schließlich nach Berlin. Doch mit 30 entscheidet sich Rosa abermals für einen Neuanfang: Wenige Monate vor dem Mauerbau steigt sie in die S-Bahn nach Westberlin. Damit bricht für Almut eine Welt zusammen. Ein halbes Jahrhundert später hat Almuts Tochter Elli ebenfalls eine beste Freundin, die Dramaturgin Kristine. Und sie ist es schließlich, die sich im Alter um Almut kümmert, als Elli in Basel eine Stelle am Theater hat. Eine Geschichte über das Älterwerden und Abschiednehmen, über Neuanfänge und das Immer-wieder-Weitermachen.

 

Auch in Elisabeth Hagers Roman, „Fünf Tage im Mai“, erschienen im Klett-Cotta Verlag, geht es mit Tatka um einen alten Menschen.  Er ist der Urgroßvater von Illy, der sich mit großen Schritten dem Greisenstatus nähert. Währenddessen fängt Illy gerade an, die Welt zu entdecken. Doch ihre Freizeit verbringen sie am liebsten gemeinsam – ob in der alten Fassbinder-Werkstatt oder auf dem Rücken von Tatkas Moped. Beschwingt und mit großer Wärme erzählt Elisabeth Hager über einen Zeitraum von achtzehn Jahren von fünf Tagen im Mai, an denen die Würfel im Leben der beiden neu fallen. Damit dürfen sich die Rudow Liest Besucher auf ein schönes Buch von der Selbstlosigkeit wahrer Liebe und obendrauf auf eine Buchpremiere freuen, die in Bines Shop um 16.30 Uhr in Alt-Rudow 53 stattfindet.

 

Ungeheuer spannend wird es in der Parallel-Lesung um 16.30 Uhr in der Krokusstraße 95 bei GanzOhr. Hier stellt Christian Hardinghaus gleich zwei neue brandneue Bücher vor, die um die Geschichte der Charité und des berühmten Chirurgen Ferdinand Sauerbruch kreisen. Für seine umfassende Sauerbruch-Biographie hat der Historiker, Autor und Journalist Hardinghaus bislang unveröffentlichte Quellen erschlossen. Er gelangt mit seinen Recherchen im Ergebnis zu einer Rehabilitation des bedeutenden Chirurgen, den die Nazis als Größe gerne für sich vereinnahmt haben. Wie Hardinghaus nun herausfand, unterstützte Ferdinand Sauerbruch eine Widerstandsgruppe um den Spion Fritz Kolbe, die sich an der Charité gebildet hatte. Außerdem war Sauerbruch wohl auch in die Attentatspläne Stauffenbergs eingeweiht.  Darüber hinaus behandelte er verbotenerweise Juden und versteckte sie wie auch andere Verfolgte des Naziregimes in der Charité vor der Gestapo. Das wirft nun ein neues Licht auf den umstrittenen Charité Arzt. Auch das zweite Buch, das für den Februar 2019 angekündigt ist, handelt von der Charité und Sauerbruch. In „Die Spionin der Charité“ erzählt Hardinghaus fiktional angereichert die Geschichte der bislang nicht beachteten Widerstandsgruppe „Donnerstagsclub“ mit der einstigen Chefsekretärin Sauerbruchs, Lily Kolbe im Mittelpunkt. Nach dem Stauffenberg-Attentat scheint diese Gruppe aufzufliegen, als Ernst Kaltenbrunner, der Chef des Sicherheitsdienstes, in der Charité versteckte Juden aufspürt.

 

Zur Zeit der Naziherrschaft war alles Fremde verhasst, das war Staatsideologie.  Das Fremde hatte sich, wenn schon nicht Feind, dem Deutschtum unterzuordnen. Alles Nichtdeutsche,   vermeintlich Nichtarische galt als minderwertig. In Teilen erleben diese Gedanken, die in Rassismus und den Hass gegen Fremde münden, gegenwärtig eine Renaissance. Umso wichtiger ist es, dem entgegenzutreten. Das tut der türkischstämmige Publizist Zafer Şenocak auch mit seinem Buch „Das Fremde, das in jedem wohnt. Wie Unterschiede unsere Gesellschaft zusammenhalten“.  Schon mit dem Titel macht er eines klar: Kulturelle Vielfalt schwächt eine Gesellschaft nicht, es stärkt sie. Es ist die Abgrenzung, die Kommunikation ersetzt und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt schwächt. Denn Angst ist niemals ein guter Ratgeber. Schon garnicht die Angst vor Fremdheit, die von unterschiedlichen Nationalitäten herrührt. Şenocak klagt nicht an. Er sucht eine bewusste, biografische Auseinandersetzung mit dem Fremden in uns selbst und berichtet aus seiner Erfahrung als Sohn türkischer Mittelschichtseltern in Deutschland, wie eine heile, gefestigte Identität erwachsen kann. Ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit. Aus ihm liest er um 17.30 Uhr im Gemeindezentrum der Evangelischen Dorfkirche Rudow in der Prierosser Straße 70-72.

 

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